Interview mit Neele Ludwig

26.05.2023 –  Christina Geisler

Neele ist, wie einige sicher schon wissen, in den vier Jahren seit ihrer halbseitigen, spastischen Lähmung, sehr schnell vom normalen Triathlonsport in den Paratriathlon gewechselt, von der Landesliga zu Teilnahmen bei Para-DMs, EMs und World Cups, wo sie schnell Erfolge erzielen konnte und nun für nächstes Jahr die paralympischen Spiele in Paris, bzw. die Qualifikation dafür ins Visier genommen hat. Christina Geisler hat mit Neele gesprochen.

NeeleLudwig2

CG: Wie viele World Cups musst du erfolgreich bestreiten, um dich für Paris zu qualifizieren?

NL: Es kommt darauf an, wie viele Punkte man kriegen muss, um weiter aufzusteigen oder ob man in den relevanten Bereich des World Rankings kommt. In meiner Startklasse qualifizieren sich die ersten 9. Da geht es dann auch darum, ein bisschen zu taktieren, weil man ja nicht unbedingt weiß, wer bei welchem World Cup starten wird. Da die Erstplatzierte immer die meisten Punkte bekommt, versucht man dort zu starten, wo nicht unbedingt alle starten, so dass man größere Chancen hat, bei diesen Wettkämpfen möglichst viele Punkte zu sammeln.

Bei mir kommt noch hinzu, dass die Saison jetzt schon mit Rennen in Tasmanien und Dubai begonnen hat, Mitte Mai findet ein Rennen in Yokohama statt. Damit verbunden sind lange Flüge, die reisetechnisch für mich eine große Herausforderung darstellen. Deswegen werde ich erstmal die Wettkämpfe europaweit in Angriff nehmen, der Aufwand dafür ist für mich machbar.

CG: Welche Wettkämpfe in Europa stehen bei dir an in diesem Jahr?

NL: Wir starten Ende Mai mit den Deutschen Meisterschaften in Altenkunstadt/Bayern, am ersten Juni-Wochenende findet die EM in Madrid statt, dann kommen so nach und nach World Cups in Besancon, A Coruna und dann kommt in Swansea ein Welt Cup Series Rennen. Das bringt einem noch mehr Punkte als ein World Cup. Und dann ist im Prinzip Ende September auch schon die WM in Pontevedra dran. Über den Winter gibt es noch 2-3 Welt Cups, wo ich überlegen werde, ob ich dort noch starte, oder ich entscheide mich zu diesem Zeitpunkt, ob ich mit der Vorbereitung für Paris beginne. Das hängt dann natürlich davon ab, wie viele Punkte ich bis zu diesem Zeitpunkt schon gesammelt haben werde.

Letztendlich liegt mein Fokus ganz klar darauf, mich zu qualifizieren und daher ist die Landesliga nicht mein Hauptfokus im Moment, sondern der Paratriathlon, weil die Paralympics schon ein großer Traum von mir sind. Ich habe die Chance, diesen Traum wahrwerden zu lassen, also fokussiere ich mich darauf, sollte es tatsächlich klappen mit der Qualifikation.

CG: Das ist ja ganz schön eng getaktet!

NL: Ja, zumal ich nebenbei auch noch in der Landesliga starte. Zwar nicht bei allen Rennen, aber das, was geht, mache ich halt schon noch mit.

CG: Inwieweit hebt sich die Vorbereitung im Parasport von der im normalen Triathlon ab?

NL: Im Parasport ist es ein bisschen anders als bei Normal-Sportlern, denn ich muss mit meinen Kräften haushalten. Ich kann auch einen ganzen Monat alles geben, aber ich bekomme dann die Rechnung dafür im nächsten Monat. Es ist einfach eine ganz andere körperliche Belastung, auch von dem her, was ich umsetzen und trainieren kann. Ich trainiere jetzt ganz anders als früher. Deswegen muss ich ganz besonders darauf achten, mit meinen Kräften zu haushalten, dass sie für ein ganzes Trainingsjahr ausreichen.

CG: Wie bereitest du dich mental auf die Wettkämpfe vor?

NL: Also die meisten, die mich kennen würden wohl von mir sagen, dass ich sehr dickköpfig bin. Wenn ich etwas will, dann will ich das auch erreichen!

Am Anfang, nachdem ich die Lähmung bekam, konnte ich noch relativ wenig. Ich konnte nicht allein sitzen, nicht allein laufen, nicht allein sprechen. Das war im Januar und damals hatte ich schon im Hinterkopf, dass ich im August beim Ostseeman teilnehmen und die Langdistanz machen wollte. Da war für mich klar: bis dahin muss wieder alles funktionieren, daran hältst du fest, dass willst du machen.

CG: Also, das war ein großer Ansporn in der Rehabilitation für dich?

NL: Generell wollte ich wieder alles eigenständig machen können. Wenn ich ein Ziel erreichen will, dann kann ich mich sehr gut darauf fokussieren und setze alles daran, auch wenn mein Umfeld vielleicht die Krise dabei hat. Ich bin halt nicht jemand, der sich in einer Krise in die Ecke setzen und weinen kann. Bei mir ist es eher so, dass ich mir denke: „Jetzt will ich es erst recht!“, ich muss mir nur genau überlegen, wie es funktionieren kann. Ich bin auch nicht jemand, der gern aufs Defizit guckt, sondern eher wo ich Ressourcen habe, die ich nehmen und daraus etwas machen kann. Oder wie ich meine Umstände derart modifizieren kann, um mein Ziel erreichen zu erreichen.

Ich bin schon ein sehr powervoller Mensch. Der mentale Aspekt ist natürlich trotzdem wichtig bei Wettkämpfen. Die Fähigkeit zu haben, sich auf etwas fokussieren zu können. Bei internationalen Wettkämpfen umso mehr als bei der Landesliga, denn da bekommt man einen Zeitplan, den man einhalten muss und Regularien, wann man wo sein muss.

Am Anfang war das natürlich alles sehr aufregend für mich auf internationalem Level! Alles war neu und die gesamte Kommunikation findet auf Englisch statt. Es ist sehr hilfreich, dass es im Vorfeld viele Infos darüber gibt, wie die Abläufe sind und dass man feste Strukturen hat, an denen man sich entlang hangeln und damit auch das Stresslevel ein wenig reduzieren kann. Ganz stressfrei geht es natürlich nicht, man ist immer aufgeregt, aber man weiß dann schon eher was auf einen zukommt und kann sich darauf vorbereiten.

CG: Du hast einen großen Umbruch in deinem Leben erlebt und musstest dich sehr umstellen. Was ging dabei in dir vor und wie hast du das bewältigt und umgesetzt, deinen Sport mit ganz anderen Voraussetzungen zu betreiben?

NL: Also, ich bin jemand, der nicht mit seinem Schicksal hadert, sondern ich überlege mir grundsätzlich „Was willst du noch im Leben machen?“ Ich bin im Sport groß geworden. Sport war immer mein Leben. Ich war immer in Trainingsgruppen und -gemeinschaften integriert und das ist für mich ein großer Lebensmittelpunkt. Das Wichtigste für mich war, dass ich gleich wieder in meine Sportgruppen reingegangen bin. Klar, ich konnte zu dem Zeitpunkt nicht viel und war zum Beispiel beim Schwimmtraining erstmal als Trainerin am Beckenrand, aber ich war trotzdem dabei und konnte weiterhin, auf andere Art und Weise (mit dem Klemmbrett, aufgrund der sprachlichen Einschränkungen) mein Wissen weitergeben. Das hat funktioniert. Die Leute kannten mich von vorher und ich bin ja trotzdem noch derselbe Mensch gewesen. Es tat mir sehr gut, in meinem gewohnten Umfeld zu sein. Mir war relativ schnell klar: „Ok, das ist jetzt so und da muss ich jetzt das Beste draus machen und muss es halt, wie es gerade jetzt ist, annehmen und darauf aufbauen. Und versuchen, Sachen wieder neu zu lernen, wieder mehr hinzubekommen, wieder meine Eigenständigkeit zurück zu erlangen.

CG: Wie wichtig es doch für Menschen ist, sozial eingebunden zu sein, besonders nach Schicksalsschlägen im Leben.

Meine Trainingsgruppen haben mich wieder mit offenen Armen aufgenommen. Es gab niemanden, der gesagt hätte: „Ok, sie kann es jetzt nicht mehr, sie kann jetzt nicht mehr zum Training kommen.“, sondern es ging gleich wieder los und am Anfang bin ich vor allem viel dabei gewesen und habe dann immer mehr versucht mit der Zeit. Man kann ja ein Training auch unterschiedlich gestalten. Beim Leichtathletiktraining konnte ich im ersten halben Jahr annähernd gar nichts machen. Da habe ich dann halt in der Zeit Gymnastik gemacht. Es gibt immer etwas, was du machen kannst. Was zählte, war, dass ich dabei war und im Rahmen meiner Möglichkeiten trainiert habe. Am Anfang haben sich ein paar Leute von den Tri-Bandits organisiert, wer mich wann zu welcher Trainingszeit abholt, weil ich die Anfahrten zu dem Zeitpunkt noch nicht allein bewältigen konnte.

CG: Inwieweit hat dich der Umbruch in deinem Leben verändert?

NL: Ich glaube, dass jede Veränderung im Leben schon etwas mit einem macht. Ich glaube aber trotzdem, dass ich der gleiche Dickkopf wie vorher bin, genauso viel Spaß am Leben habe wie vorher und ich mich wenig verändert habe. Ich bin vielleicht in einigen Dingen fokussierter und dankbarer. Gerade durch meine berufliche Tätigkeit sehe ich auch, dass es noch ganz andere Patienten mit viel schlimmeren Leidensgeschichten gibt. Und da bin ich dankbar, womit ich weggekommen bin. Also, so richtig verändert hat es mich, glaube ich nicht.

CG: Triathlon ist ein teurer Sport, umso mehr, wenn man spezielle Ausrüstung und Unterstützung braucht bei Wettkämpfen und Anreise. Hast du Sponsoren bzw. wirst du durch irgendwelche Firmen oder Organisationen bei deinen Vorhaben unterstützt?

Bisher nicht, ich bin da immer offen für! Ich habe bereits versucht, viele Firmen anzuschreiben. Es ist halt etwas schwieriger, beim Behindertensport Unterstützung zu erhalten. Bestimmte Sachen können über den Bundeskader und dessen Mittel mit übernommen werden, wie z.B. das Trainingslager, in dem wir zuletzt waren. Dabei wurde der Bundestrainer über die Kader Mittel finanziert und wir Para-Athleten durften dabei sein. Mein Orthopädietechniker Björn Baton übernimmt den kompletten Radumbau für mich, weil man so etwas nicht von der Krankenkasse finanziert bekommt.

CG: Das deckt sicher nur einen Anteil deiner Kosten. Da wäre es schön, wenn sich jetzt in der angehenden Vorbereitung auf Paris eine größere Firma finden und bereit erklären würde, dich zu unterstützen.

NL: Auch über kleinere Hilfen bin ich froh. Und dazu gehören auch Dinge, die man von außen betrachtet vielleicht nicht sieht. Ich kann z. B. nicht allein reisen. Das heißt, mir entstehen immer Kosten für Flüge und Hotel für zwei Personen, die ich erbringen muss.

CG: Was wünschst Du Dir zum Thema Inklusiver Sport?

NL: Warum brauchen wir einen Begriff dafür, jemanden, der etwas nicht so gut kann wie andere irgendwo hineinzubekommen? Ich glaube, es sind einfach nur die Barrieren in den Köpfen der anderen. Ich sehe keine Barriere für mich, irgendetwas zu machen. Ich muss mir nur vielleicht überlegen, wie ich es individuell für mich passend umgesetzt bekomme. Aber die Barriere an sich ist erstmal so nicht vorhanden. Und so ist es auch in den Vereinen, in denen ich trainiere. Ich bin in ganz normalen Sportgruppen und bekomme da keine Extrawurst. Es ist auch nicht so, dass die anderen. Mir gegenüber Hemmungen haben. Ich bin einfach dabei, sei es im Leichtathletiktraining oder im Fitnesskurs und mache manchmal einfach eine Übung anders, oder die sieht anders aus bei mir, weil ich sie nicht so 1:1 nicht umsetzen kann, aber ich kann sie ja trotzdem machen. Da wo ich mit trainiere, klappt das total gut.

Man sollte einfach mehr miteinander in den Austausch gehen. Sagen: „Ok, du kannst bei uns mittrainieren, ich sage dir die Aufgabe und wir überlegen gemeinsam, wie du sie umsetzen kannst. Vielleicht macht auch eine andere Aufgabe für dich in dem Moment mehr Sinn.“

Ich glaube, je mehr man das so in der Gesellschaft umsetzt, desto einfacher wird das mit der Inklusion. Und dann sind auch weniger Reibungspunkte da.

Ich glaube auch, dass es viel mehr Leute gäbe, die den Zugang zum Sport finden würden, wenn sie nicht so viel Angst davor hätten, mit allen zusammen Sport zu machen. Es soll ja darum gehen, Spaß zu haben, das soll der Hauptfokus sein. Wie man den Spaß umsetzt, ist total egal.

CG: Welches sind die prägendsten Erfahrungen, die Du bereits beim Inklusiven Sport gesammelt hast?

NL: Meine ersten Wettkämpfe nach meiner Rehabilitation waren in der Landesliga. Da habe ich mich damit beschäftigt, dass ich mein System anmelden musste, dann war ja auch Corona und es war alles etwas schwieriger mit der Klassifizierung. Dann hieß es erstmal: ja, du kannst mit uns mit starten, da wird schon kein Kampfrichter etwas sagen. Das hat alles gut funktioniert und dann habe ich 8 oder 10 Wettkämpfe so gemacht und erst dann habe ich meinen ersten Para-Wettkampf gemacht. Da bekam ich dann plötzlich ganz andere Hilfen und hatte ganz andere Möglichkeiten und auch noch andere Ideen, wie ich etwas umsetzen kann. Das war echt cool. Und dann kam der allererste internationale Wettkampf, wo es total familiär zuging. Die anderen Nationen haben gesehen: „Okay, die Deutschen haben wen Neues auf der Startliste“.

Die kamen dann gleich auf mich zu und wollten mit mir sprechen und waren total interessiert an mir als Person, nicht nur daran, was mir zugestoßen ist. Ich kann leider kein Englisch mehr, weil das Sprachgedächtnis weg ist, aber war dann auch total unkompliziert. Die Finnin hat gemerkt: „Okay, das klappt nicht mit Englisch“, holt ihr Handy heraus und wir haben uns eine halbe Stunde mit Google Translator unterhalten. Bei den Para-Wettkämpfen hat halt jeder eine Beeinträchtigung und das ist halt gar kein Problem und völlig normal.

Und es ist untereinander eine sehr große Gemeinschaft mit den verschiedenen Nationen, egal wo man herkommt. Da Paratriathlon schon noch eine Nische ist, sieht man auch immer wieder die gleichen auf den Wettkämpfen und man kennt sich untereinander. Das ist schon cool und dann gibt es auch mal gemeinsame Trainingsmaßnahmen verschiedener oder man tauscht sich aus, auch die Trainer der verschieden Nationen geben sich gegenseitig Rat und Ideen. Das ist schon eine Spur familiärer als im Triathlon an sich und völlig entgegen dem, was oft gesagt wird, Triathlon sei eine Einzelsportart. Ich fand das noch nie zutreffend, es gibt überall Gruppen und Gemeinschaften. Jeder trainiert auch mal für sich, aber man ist zusammen in einem Wettkampf und das ist im Para-Bereich noch mehr so, dass jeder jeden kennt und man sich gegenseitig hilft,

CG: Erlebst Du Vorurteile dir gegenüber?

NL: Ich habe mal etwas Lustiges erlebt, da waren wir mit der Landesliga beim St. Peter Ording Triathlon gestartet und es standen welche von einem anderen Team an der Seite als Supporter.

Mein Laufstil sieht ja schon sehr anders aus und ich laufe mit Bandagen vollgeklebt, mit meiner Elektronik dran und dann kam von denen der Kommentar: „Naja, man muss ja auch nicht alles machen.“ Die wussten aber gar nicht, was der Hintergrund ist. Hinterher bin ich zu denen hingegangen und habe es ihnen erklärt und dann haben sie gesagt: „Ach so. Wir haben gedacht, "du bist einfach nur verletzt“.

Es gibt ja auch viele Behinderungen, die man von außen gar nicht so sieht und das ist dann aber trotzdem eine Leistung, die von denjenigen erbracht wird. Und die Bewertung sollte dann nicht sein: „Das sieht nicht aus, wie alle anderen das machen und dadurch ist es falsch.“ Nee, es ist halt anders und dadurch ist es trotzdem eine Leistung. Davon abgesehen sind die Leute mir gegenüber immer sehr interessiert und begeistert.

Ich bin zum Beispiel mit einer Triathletin von St. Pauli Hand in Hand ins Ziel gelaufen und wir haben uns beide gefreut, dass wir es hinbekommen haben. Wir waren mit Abstand die letzten und es war total egal, wir haben das beide geschafft!